Über das richtige Fiebern

Der folgende Beitrag ist dem Thema „richtiges Fiebern“ gewidmet, denn das Wissen um die Wichtigkeit und Bedeutungen des Fieberns geht in Zeiten der modernen Medizin leider immer mehr verloren. Tatsächlich leistet diese natürliche, körperliche Reaktion jedoch einen weitaus wichtigeren Beitrag zur Gesunderhaltung als uns allgemein bewusst ist. Die Unterdrückung des natürlichen Fieberns schwächt unsere Fähigkeit zur körperlichen Selbstregulation und macht uns anfälliger für Krebs und andere degenerative Erkrankungen. Die allgemein zunehmende Abhängigkeit und Unselbständigkeit in unserer Kultur hinsichtlich der Bewältigung von körperlichen und psychischen Herausforderungen reduziert darüber hinaus unsere allgemeine Fähigkeit mit der Komplexität des Alltags angemessen umzugehen.

Auf biochemischer Ebene besteht die Hauptfunktion des Fiebers darin Fremdproteine - vor allem viralen, bakteriellen oder parasitären Ursprungs - sowie Stoffwechselendprodukte, die nicht anders ausgeschieden werden können, zu „verbrennen“ und dadurch für den Körper in eine entsorgbare Form zu überführen. Im Gegensatz zur üblichen Meinung ist dabei nicht unbedingt ein einzelner Erreger Auslöser für den Fieberprozess. Viel häufiger ist er das Ergebnis mehrerer, sich akkumulierender Faktoren. Entscheidend ist dabei also wie sehr der Körper bereits belastet ist.

Man kann das Fieber mit einem Waldbrand vergleichen. Der Wald ernährt sich über den Humus, der aus dem abgestorbenen Pflanzenmaterial mit Hilfe der Bodenorganismen produziert wird. Es ist ein Nährstoffkreislauf: Wachsen, Sterben, Zersetzen und Erneuern. Wenn das Gleichgewicht jedoch aus der Balance gerät und sich zu viel totes, organisches Material ansammelt, droht der Boden zu ersticken. Ein reinigender Waldbrand hilft das angesammelte organische Material wieder in wertvolle Asche umzuwandeln, welches die Grundlage bildet für neues Leben. Als Mensch verbrenne ich zwar glücklicherweise nicht komplett - so wie im Beispiel des Waldbrandes, aber der Mikrokosmos in mir, sowie die Schlackenstoffe dürfen gelegentlich verbrannt werden um Raum zu schaffen für ein neues, gesundes Milieu.

Fieber ist also vor allem ein Reinigungsakt des Körpers. Wenn dem Körper diese Möglichkeit genommen wird, bleibt ihm als Ausweg nur der „Kälteprozess“ – d.h. er muss die belastenden Stoffe einkapseln und irgendwo deponieren. Eine naheliegende, noch zu überprüfende These ist, dass diese abgekapselten und im Gewebe eingelagerten Stoffe, die sich in Abwesenheit der Fieberhitze bilden, die Entstehung von degenerativen Erkrankungen und Tumoren begünstigen. In der Anthroposophie wird Krebs jedenfalls schon lange recht erfolgreich mit künstlichem Fieber, der sogenannten Hyperthermie, behandelt. Die Unterdrückung von Fieber durch Medikamente – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen - um möglichst schnell wieder gesellschaftlich funktionsfähig, sprich arbeitsfähig, zu sein, ist daher äußerst kritisch zu betrachten. Stattdessen sollte das richtige Fiebern unbedingt als Teil der Gesundung zugelassen werden.

Die Anthroposophen wissen schon lange um den Wert von natürlichen Krankheitsverläufen. Sie gehen davon aus, dass ein Kind welches gut begleitet eine Kinderkrankheit durchmacht, daraus Kraft und seelische Reife schöpft. Wenn dem Kind erlaubt wird aus eigener Kraft mit der Kinderkrankheit umzugehen und es darin unterstützt und behütet ist - also ein sicherer und liebevoller Rahmen besteht, in dem eventuelle Entgleisungen rechtzeitig wahrgenommen werden - dann geht dieser Prozess oft mit einem merklichen Reifesschub für das Kind einher. Zum einen lernt und erweitert also der Körper sein Wissen über eine durchgemachte Krankheit und zum anderen findet parallel auch auf seelischer Ebene Wachstum statt.

Die Kinder erfahren sich durch die selbstständige Bewältigung der Krankheit als individuelle und selbstständige Menschen. Das Prägen durch die Krankheit setzt somit einen Individualisationsprozess in Gang, der das Hineinwachsen in die Eigenständigkeit fördert. Im Durchlaufen einer Kinderkrankheit wird also eine enorme Autonomiekraft mobilisiert. Diese Autonomiekraft halte ich für sehr wichtig und wertvoll.
Leider ist uns heute das Vertrauen in unser evolutionäres Erbe, die unglaublichen Immunkräfte des Körpers, weitestgehend abhandengekommen. ebenso geht das Wissen um einfache Hausmittel, die den Körper beim Erlernen der Selbstregulation unterstützen - anstatt die natürlichen Prozesse zu unterdrücken – zunehmend verloren.

Viele junge Eltern gehen heute schon bei kleinsten Infekten mit ihren Kindern zum Arzt und haben kein Vertrauen in ihr eigenes, natürliches Einschätzungsvermögen. Solche verunsicherten Eltern greifen schnell zu Medikamenten, die den kindlichen Körper in seiner eigenen Immunantwort eher behindern als unterstützen. Dabei gibt es sehr einfache, wirksame Mittel wie Wadenwickel, Zwiebelsäckchen und nicht zuletzt: Ruhe bewahren und für Ruhe sorgen. Das braucht zwar mehr Zeit und Geduld, hilft aber dafür dem Kind bei der Entwicklung eines gesunden Immunsystems, welches ihm ein Leben lang dient.

Während der Covid 19 Pandemie haben wir gelernt und respektiert, dass Krankheits- und Genesungsprozesse Zeit brauchen. Ich hoffe, dass sich in unserer Gesellschaft auch über Covid hinaus eine Neuorientierung im Hinblick auf den Umgang mit Krankheit vollzieht. Denn schließlich haben uns die Pandemie-Jahre auch gezeigt wie unterschiedlich der Erreger - in Abhängigkeit von unseren körperlichen und psychischen Ressourcen - auf uns einwirkt. Je ausbalancierter unser alltägliches Leben ist, desto mehr Energie haben wir zur Verfügung um mit Infekten adäquat umzugehen. Wer dagegen bereits mit seinen Reserven am Limit ist, dem können Krankheiten oder andere Schicksalsschläge sehr leicht den Boden unter den Füssen wegziehen.

Gesundheit und Resilienz sind also auch eine Frage des Lebensstils und davon wie sehr wir unsere körperlichen und emotionalen Grenzen kennen und respektieren. Schließlich sind wir menschliche Wesen und keine Maschinen. Der Anspruch an uns linear, wie ein Uhrwerk zu funktionieren ist wider unsere Natur, denn - wie alles Lebendige - unterliegen wir inneren und äußeren Zyklen und Rhythmen. Phasen der Aktivität und Phasen des Rückzugs wechseln sich ab. Phasen von körperlicher Schwäche und Krankheit sind Zeiten in denen wir Ruhe brauchen um uns auf allen Ebenen zu regenerieren, zu integrieren und zu reifen.

Die Frage ist:
Sind wir bereit, das Hamsterrad des konstanten Funktionierens anzuhalten und uns diese Ruheräume gesellschaftlich wieder zuzugestehen?